Kategorie: Rezensionen Belletristik

  • Hélène Grémillon – Das geheime Prinzip der Liebe

    Paris, 1975. Camilles Mutter ist bei einem Autounfall gestorben. Unter den Beileidsschreiben findet Camille einen rätselhaften Brief von einem Unbekannten, der die Geschichte einer jungen Frau erzählt: von Annie, der großen Liebe des Verfassers. Camille glaubt an eine Verwechslung, doch in den nächsten Tagen kommen weitere Briefe. Sie erzählen von der jungen Malerin Annie und ihrer wohlhabenden Gönnerin, die seit langem vergeblich versucht, schwanger zu werden. Aus Dankbarkeit erklärt sich Annie bereit, ein Kind für sie zu empfangen und zur Welt zu bringen. Doch was gut gemeint war, wird bald zur Quelle von Eifersucht, Misstrauen und Hass, und irgendwann ist Annie spurlos verschwunden … Camille begreift allmählich, dass diese Geschichte aus den Briefen weit mehr mit ihr zu tun hat, als ihr lieb ist. (Kurzbeschreibung laut amazon)
    DAS GEHEIME PRINZIP DER LIEBE“ ist die Geschichte zweier Frauen, die für immer auf recht tragische Weise verbunden sind.
    Annie die talentierte Malerin, die mit ihrer erfrischenden Art schnell das Herz der melancholischen Madame M., die verzweifelt versuch ein Kind zu bekommen. Die zwei Frauen freunden sich an. Doch die Freundschaft endet in einer Tragödie, die für alle Beteiligten weitreichende Folgen hat.
    Eigentlich mag ich Bücher in Briefform, aber ich muss gestehen, dass es mich in diesem Falle nicht intensiv genug packen konnte. Trotzdem habe ich den Roman bis zum Ende gelesen, was mich nur noch mehr in meiner Meinung bestärkt hat, dass man die Dramatik durchaus anders hätte verpacken können. Anfangs verwirren die Figuren des Romans ein bisschen, später plätschern die Ereignisse nur so dahin, um sich dann zu überschlagen.
    Das Ende widerum ist grandios und auch die „französische Atmosphäre“ kommt nicht zu kurz.
    Insgesamt bleibt „DAS GEHEIME PRINZIP DER LIEBE“ zwar lesenswert, aber kein Muss.
    © Ricarda Ohligschläger
     

  • Gina Mayer – Das Maikäfermädchen

    DAS MAIKÄFERMÄDCHEN“ ist mein erstes Buch der Düsseldorfer Autorin Gina Mayer und mit Sicherheit nicht mein letztes von ihr.
    Wer bei dem an ein Kinderlied erinnernden Titel des Buches an eine harmlose und oberflächliche Geschichte denkt, der irrt gewaltig.
    Es ist schwere Kost. Sehr schwere Kost, denn die eh schon erschütternde und aufwühlende Handlung wird durch die sehr realistischen Beschreibungen noch grausamer. Hierbei muss erwähnt werden, dass die Autorin offensichtlich sehr viel Zeit damit verbracht hat zu recherchieren, denn ohne intensive Vorbereitung hätte sie sicherlich niemals ein so außergewöhnliches Thema derart darstellen können.
    Anfangs kam mir die Geschichte etwas verwirrend daher, aber dann konnte ich das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen, da die Handlung sehr spannend aufgebaut ist und es insgesamt sprachlich auf einem sehr hohem Niveau ist, sodass es nichts vermissen lässt!
    „Sommer 1945. Deutschland liegt in Trümmern, von Düsseldorf sind nur noch Ruinen übrig. Die Hebamme Käthe Mertens leidet unter der Trennung von ihrem Mann Wolf, der im Krieg verschollen ist. Eines Nachts taucht eine junge Frau bei ihr auf. Ingrid ist schwanger und völlig verstört. Sie will Käthe nicht sagen, wer der Vater ihres Kindes ist, sondern summt immer nur die Melodie von „Maikäfer flieg“. Käthe zögert nicht lange, sie hilft Ingrid, indem sie in einer halb zerstörten Arztpraxis eine Abtreibung vornimmt. Ingrid verschwindet nach dem Eingriff spurlos, aber wenige Wochen später erscheint ein anderes junges Mädchen bei Käthe, das ebenfalls schwanger ist. Zusammen mit ihrer Freundin Lilo beschließt Käthe, bedrängten Frauen zu helfen – trotz der Gefahr, als „Engelmacherin“ im Gefängnis zu landen. Dann taucht Ingrid wieder auf, erneut schwanger, und beginnt Käthe zu erpressen.“ (Kurzbeschreibung laut amazon)
    Gina Mayer führt ihre Leser dabei manchmal leise und dann wieder schockierend anschaulich durch das Düsseldorf der Nachkriegszeit. Verfallene Straßen, Kinder die im Müll nach Nahrung suchen, Frauen die ihre wenige Kraft in den Wiederaufbau stecken….
    Es ist ein Roman mit vielen Gesichtern: dem der Hebamme Käthe Mertens, die sich alleine durchschlagen muss, weil ihr Mann als vermisst gilt. Zweitens  dem von Lilo Hambach, die tagtäglich mit ansehen muss wie ihr Mann an den gemachten Kriegserfahrungen immer mehr verfällt. Und dann ist da noch Schimanek, ein Jude, der das KZ überlebt hat und von dessen wahren Kampf weder Lilo noch Käthe etwas ahnen!
    Es ist aber auch ein Buch über Freundschaft, Zusammenhalt und größte Not, die viele von uns – Gott sei Dank! – niemals kennenlernen werden. Käthe und Lilo leben in einer Welt, in der die nächste Mahlzeit und eine heile, warme Unterkunft mehr wert sind als Moral.
    Es ist mehr als ein Portrait der Nachkriegszeit, welches Gina Mayer ihren Lesern darstellt. „DAS MAIKÄFERMÄDCHEN“ ist der erschütternde Bericht einer ganzen Generation von Frauen, der viel Stoff zum Nachdenken bietet und am Ende mit einer noch schrecklicheren Wahrheit überrascht!
    © Ricarda Ohligschläger
     

  • Joël Dicker – Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

    Ein Skandal erschüttert das Städtchen Aurora an der Ostküste der USA: 33 Jahre nachdem die zauberhafte Nola dort spurlos verschwand, taucht sie wieder auf. Als Skelett im Garten ihres einstigen Geliebten …Dieser raffinierte, anspielungsreiche Roman liest sich wie ein Krimi und ist doch viel mehr!
    Es ist der Aufmacher jeder Nachrichtensendung. Im Garten des hochangesehenen Schriftstellers Harry Quebert wurde eine Leiche entdeckt. Und in einer Ledertasche direkt daneben: das Originalmanuskript des Romans, mit dem er berühmt wurde. Als sich herausstellt, dass es sich bei der Leiche um die sterblichen Überreste der vor 33 Jahren verschollenen Nola handelt und Quebert auch noch zugibt, ein Verhältnis mit ihr gehabt zu haben, ist der Skandal perfekt. Quebert wird verhaftet und des Mordes angeklagt. Der einzige, der noch zu ihm hält, ist sein ehemaliger Schüler und Freund Marcus Goldman, inzwischen selbst ein erfolgreicher Schriftsteller. Überzeugt von der Unschuld seines Mentors – und auf der Suche nach einer Inspiration für seinen nächsten Roman – fährt Goldman nach Aurora und beginnt auf eigene Faust im Fall Nola zu ermitteln …
    (Kurzbeschreibung laut amazon)
    DIE WAHRHEIT ÜBER DEN FALL HARRY QUEBERT“ ist ein Buch in einem Buch, ein Meisterwerk, eine Pflichtlektüre für alle, die sich gut unterhalten fühlen wollen und nicht ohne Grund ein Bestseller.
    Ich wage sogar die Behauptung, dass es eine schriftstellerische Rarität ist, denn ich habe schon lange nicht mehr so einen großartig inszenierten Schmöker gelesen wie dieses Buch.
    Als ich sah, dass ich es sich um ca. 730 handelte war ich erst einmal ein bisschen überrumpelt, aber dann verschlang ich das Buch in großen Stücken. Weite Strecken sogar im Flug und dabei Zeit und Raum vergessend.
    Joël Dicker ist ein Könner, der es meisterhaft versteht seinen Figuren Atem einzuhauchen und Szenen bildhaft zu gestalten. Er schreibt modern, eindringlich und so spannungsgeladen, dass kaum Zeit zum Atmen bleibt. Trotz der intensiven Figurenbeschreibungen bleibt er unverkrampft und verleiht seinen Figuren eine sympathische Art, die dem Leser das Gefühl gibt noch mehr Facetten an den Personen entdecken zu können. Und dieses Gefühl trügt nicht, denn den meisten „ersten Eindrücken“ zum Trotz überrascht Dicker mit schnittigen Wendungen.
    Besonders hervorheben sollte man auch die Emotionen, die Joël Dicker durch seinen Schreibstil transportiert. Ob es die Zerrissenheit bezüglich einer unglücklichen Liebe oder die enge Verbundenheit einer tiefen Freundschaft ist – Dicker versteht es gekonnt Herzklopfen, Traurigkeit oder pures Glück beim Leser hervorzurufen.
    Und egal wie viel Dicker seinem Leser erzählt, es bleibt immer noch genug Raum für die eigene Fantasie, für Mutmaßungen und Verdächtigungen.
    © Ricarda Ohligschläger

  • Lisa O´Donnell – Bienensterben

    Heiligabend in Glasgow: Die fünfzehnjährige Marnie und ihre kleine Schwester Nelly haben gerade ihre toten Eltern im Garten vergraben. Niemand sonst weiß, dass sie da liegen und wie sie dahin gekommen sind. Und die Geschwister werden es niemandem sagen. Irgendwie müssen sie jetzt allein über die Runden kommen, doch allzu viel Geld verdient Marnie als Gelegenheits-Dealerin nicht. So ist es ihnen ganz recht, als ihr alter Nachbar Lennie, stadtbekannter (vermeintlicher) Perversling, sich plötzlich für sie interessiert. Lennie merkt bald, dass die Mädchen seine Hilfe brauchen. Er nimmt sich ihrer an und gibt ihnen so etwas wie ein Zuhause. Als die Leute jedoch beginnen, Fragen zu stellen, zeigen sich erste Risse in Marnies und Nellys Lügengebäude, und es kommen erschütternde Details aus ihrem Familienleben zum Vorschein, was ihre Lage nur noch komplizierter macht.
    Mit schnörkelloser Präzision, großem Einfühlungsvermögen und finsterem Humor erzählt Lisa O Donnell die verstörend komische Geschichte dreier verlorener Seelen, die für sich selbst keine Verantwortung tragen können, aber füreinander bedingungslos einstehen. (Kurzbeschreibung laut amazon)
    „Bienensterben“ ist die bewegende Geschichte zweier Schwestern, die unterschiedlicher nicht sein können.
    Nelly spielt fabelhaft Geige und weiß definitiv sich gewählt auszudrücken. Ihre Gedanken entsprechen nicht gerade dem, was man von einem Teenager erwartet. Jungs sind ihr suspekt und Sätze wie „Er ist reizend. Ein sehr unterhaltsamer Zeitgenosse, wirklich ein feiner Kerl.“ (Seite 51, kommen ihr problemlos über die Lippen
    Marnie dagegen bevorzugt eine vulgäre Sprache und ein chaotisches Liebesleben.
    Eine Beziehung zu einem verheirateten Mann, Handel mit Drogen – all das gepaart mit hoher Intelligenz;  Marnie ist eine sehr interessante und vielschichtige Protagonistin.
    Nelly und Marnie haben ihre Eltern im Garten vergraben und niemand darf es wissen. Doch das Leben mit Eltern war auch nicht viel freudvoller!
    Drogen, Alkohol und fehlende Liebe begleiten Nelly und Marnie schon seit frühester Kindheit.
    In dreierlei Erzählsträngen (Nelly, Marnie und Lennie) erfährt man durch wechselnde Blickwinkel die ganze Wahrheit, die sich hinter dem trostlosen Alltag der Hauptprotagonisten verbirgt. An Dramatik und familiären Problematiken fehlt es dabei nicht. Rückblenden und persönliche Sichtweisen machen die Story zu einer spannenden Lektüre, die wütend und doch versöhnlich stimmt.
    Besonders Lennies Schicksal hat mich dabei sehr berührt. Letzten Endes ist es seiner Zuneigung und seinem Geschick zu verdanken, dass es für die beiden Schwestern einen Neuanfang gibt.
    „Bienensterben“ ist insgesamt spannungsvoll, schockierend und sehr außergewöhnlich. Es ist aber auch die Geschichte zweier Mädchen, die unter allen Umständen zueinander stehen, sich Halt geben und notfalls auch zu außergewöhnlichen Mitteln greifen.
    © Ricarda Ohligschläger

  • Renate Ahrens – Seit jenem Moment

    Paula ist zutiefst erschüttert, als sie die Nachricht vom Selbstmordversuch ihres Vaters erhält. Plötzlich wird ihr ­bewusst, wie wenig sie den eigenen Vater kennt. Zum ­ersten Mal in ihrem Leben setzt sie sich mit dem ihr so fremden Mann auseinander, trifft in der Familie jedoch immer wieder auf Mauern des Schweigens. An manche Themen sollte man nicht rühren, fordern ihre Verwandten. Doch Paula will sich damit nicht zufriedengeben und sucht nach Erklärungen. Schließlich stößt sie auf ein Ereignis, das Jahrzehnte zurückliegt und immer noch das Leben jedes einzelnen Familienmitglieds überschattet. (Kurzbeschreibung laut amazon)
    Seit jenem Moment“ ist eines der großartigsten Bücher, welches ich in letzter Zeit gelesen habe und ich hoffe sehr, dass Renate Ahrens noch ganz viele Veröffentlichungen haben wird. Nur wenige Autoren schaffen es so emotional und kraftvoll zu schreiben wie sie.
    Die Geschichte beginnt dramatisch. Paula erfährt, dass ihr Vater einen Suizidversuch unternommen hat! Als er jedoch vorerst keinen Kontakt wünscht, reflektiert Paula nach und nach die letzten Jahre. Ihr Vater war immer schon ein Eigenbrödler, einer der sich laut ihrer verstorbenen Mutter oft „in sein Mauseloch“ zurück zog und von dem sie kaum etwas weiß.
    In Rückblicken spiegeln sich Ereignisse aus ihrer Kindheit wider und es wird klar, dass Paula und ihr Vater kein sehr inniges Verhältnis hatten. Man begreift sehr schnell, dass es in dieser Familie im Allgemeinen an Emotionen fehlt. Der herrschsüchtige Großvater ist sozusagen das negative Flaggschiff, der den Rest der Familie bloßstellt, kommandiert und emotional kurz hält!
    Paulas Tante Lili ist die Einzige, die dem Bild der Emotionslosigkeit nicht entspricht. Sie betont jedoch auch, dass es sie gerettet hat in Irland zu leben.
    Als Paula auf ein tragisches Familiengeheimnis stößt, löst sie bei ihren Familienmitgliedern Gefühle aus, die viel zu lange unter Verschluss waren.
    Renate Ahrens zeigt auf erschütternde Weise, wie ungesagtes eine Familie zerstören kann. Ihr feinfühliger Schreibstil und ihr Können mit wenig Worten große Emotionen zu erzeugen sind brillant und haben mich erneut begeistert.
    Mich hat besonders beeindruckt wie sie es schaffte der kleinen Paula ein Gesicht zu geben. Eines welches mit kindlicher Zuversicht und schwerem Herzen auf Reaktionen ihres Vaters wartet – und doch immer wieder enttäuscht wird.
    © Ricarda Ohligschläger