„Will sich der IS denn mit der ganzen Welt anlegen?“ (Seite 105)
Das ist die Frage, die ich mir mit Hilfe des Hörbuches Inside IS – 10 Tage im „Islamischen Staat“ beantworten wollte. Hintergründe, Fakten, Denkweisen und die Motivation junger Leute dem IS beizutreten – all das wollte ich erfahren. Auch um ein bisschen von all dem Wahnsinn, der in der Welt geschieht, zu verstehen. Ganz besonders wichtig war mir endlich zu begreifen was der Hauptgrund dieses sinnlosen Mordens ist. Welche Ziele verfolgt der IS und welche Rolle spielt der Westen? Warum nimmt sich überhaupt ein Mensch die Frechheit heraus einen anderen zu töten? Sei es durch Bombardements, Enthauptung oder gnadenlose Folter.
Was ist der Hauptgrund dieses Kampfes? Geld, Ruhm, Gier oder geht es doch nur um Rache und Gerechtigkeit?
Ist der Westen wirklich so aggressiv gegenüber den Muslimen? Diese Frage beispielsweise kann man sich nach der Lektüre des Buches ganz einfach beantworten, denn es werden viele Beispiele aufgezeigt, die einen deutlichen rassistischen Unterton gegenüber den Muslimen haben. Man kann für sich selbst entscheiden, ob die westlichen Medien da eine Art Gehirnwäsche praktizieren oder nicht. Fakt ist aber: „Wenn Zivilisten getötet werden, handelt es sich immer um Mord.“ (Seite 25)
Ganz ehrlich kann ich das all auf nach der Lektüre – ich habe mir parallel dazu das Buch gekauft um einiges noch einmal nachzulesen! – immer noch nicht nachvollziehen. Sätze wie „Das liegt einfach daran, dass unsere Leute mehr oder weniger gern sterben wollen.“ (Seite 106) sind doch keine Motivation einem Netz aus mörderischen Terroristen beizutreten. Dafür kann und darf es gar keine Motivation geben. Niemals!
Todenhöfer traf sich mit der Mutter eines der Jihadisten, den er für das Buch interviewt hatte (Abu Qatadah) und als ich seine Geschichte las, konnte  ich noch weniger begreifen warum er, der eigentlich Christian E. heißt, dem IS beigetreten ist. Wenn fehlende berufliche Perspektiven, eine zerbrochene Liebe und die Abwesenheit einer positiven Vaterfigur ein Grund ist dem IS sein Leben zu opfern – sorry, dann kann einem wirklich niemand mehr helfen! Dafür habe ich absolut kein Verständnis! Dann müssten tausende vom Schicksal benachteiligte Menschen dem IS beitreten. Das ist nicht nur Irrsinn, sondern total bescheuert – aber definitiv.
Mir fiel zunehmend auf, dass sich Christian E. viele seiner „Gesetze“ selbst neu interpretierte. Ein Widerspruch reihte sich an den anderen. Vergewaltigungen von Sklavinnen waren plötzlich keine Vergewaltigungen mehr („Das ist immer relativ. Was bedeutet zwingen? Was bedeutet zwingen, wenn einem diese Person als Sklavin gehört?“ (Seite 145)) und Tötungen wurden in großem Maße gerechtfertigt.
Todenhöfer begab sich trotzdem in Gefahr sich diesen Wahnsinn näher anzuschauen und wusste selbst nicht, ob er je wiederkommen würde. Dafür verdient er absoluten Respekt und Hochachtung. Sieben Monate hatte er jeden Tag mit sich gerungen, sah zunehmend barbarischere Grausamkeiten und wurde angetrieben von der Neugier nach der Wahrheit über den IS. Bei drohender Folter oder Hinrichtung wollte er jedoch das Drehbuch seines Todes selbst schreiben – und hatte sich aus diesem Grund ein tödliches Medikament besorgt.
Doch die ersten Tage im Islamischen Staat sind eher friedlich, wenn auch manchmal sehr aufregend und spannend. Schließlich befindet man sich im Kriegsgebiet. Trotzdem scheint das Leben ganz normal in Rakka. Kebab – Buden, Obststände und eine vorbeifahrende Hochzeitskolonne inklusive Hupkonzert!
Wenig später beginnt die Zensur der geplanten Berichterstattung. Der Streit darüber eskaliert und ich fragte mich immer wieder welche Ängste dabei wohl mit im Raum standen. Schließlich hätte die Stimmung schnell ins Aggressive kippen können. Todenhöfer bleibt aber eher nüchtern und sachlich, wenn es darum geht über diese Situationen mehr zu erfahren. Keine Emotion wird klar übersendet. Protokollartig fährt er fort seine Reise dokumentieren.
Todenhöfer berichtet vom IS – Trainingslager, militärischer Ausbildung und von dem tödlichen Damoklesschwert, welches über ihn und seinem Sohn schwebt. Bisher hatte kein westlicher Journalist den IS lebend verlassen…
Zum Schluss rechnet Todenhöfer in einem offenen Brief an den Kalifen des „IS“ ab und zeichnet auf in wie vielen Punkten der „IS“ eben kein islamischer Staat, sondern eine AntiIslamischer Staat ist. Man bleibt mit einem Kopfschütteln zurück, nicht nur weil sich im Nachwort noch eine ganz besondere böse Überraschung offenbart.
Todenhöfer hat mit viel Feingefühl, Durchsetzungsvermögen und Ehrgeiz versucht die Hintergründe, Beweggründe und Denkweisen des IS zu erkunden.
Jedoch prallte er immer wieder auf Widersprüche, verblendete Ideologien und Verschwörungstheorien einer Gemeinschaft, die weit ab von Allahs Gesetzen und dem islamischen Denken handelt.
Meine uneingeschränkte Hochachtung gilt seiner Arbeit und dem damit verbundenen Versuch mir die eingangs gestellte Frage zu beantworten.
„Möge Allah Sie stoppen!“ (Seite 275)
Das Hörbuch* – welches mir von audible zur Verfügung gestellt wurde – umfasst 76 kurze Kapitel und wird brillant gesprochen von Thomas Balou Martin und Michael-Che Koch. Sie machen den Bericht von Todenhöfer zu einem entspannenden und kurzweiligen Hörgenuss. Die verschiedenen Charaktere wurden mit einer „eigenen“ Sprache untermalt und auch wenn es sich hierbei um ein Sachbuch handelt, war ich von Anfang an sehr gefesselt.
Wer sich für Politik und politische Hintergründe interessiert, der wird mit diesem (Hör)Buch einen Volltreffer landen!
© Ricarda Ohligschläger
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