Paula ist zutiefst erschüttert, als sie die Nachricht vom Selbstmordversuch ihres Vaters erhält. Plötzlich wird ihr bewusst, wie wenig sie den eigenen Vater kennt. Zum ersten Mal in ihrem Leben setzt sie sich mit dem ihr so fremden Mann auseinander, trifft in der Familie jedoch immer wieder auf Mauern des Schweigens. An manche Themen sollte man nicht rühren, fordern ihre Verwandten. Doch Paula will sich damit nicht zufriedengeben und sucht nach Erklärungen. Schließlich stößt sie auf ein Ereignis, das Jahrzehnte zurückliegt und immer noch das Leben jedes einzelnen Familienmitglieds überschattet. (Kurzbeschreibung laut amazon)
“Seit jenem Moment” ist eines der großartigsten Bücher, welches ich in letzter Zeit gelesen habe und ich hoffe sehr, dass Renate Ahrens noch ganz viele Veröffentlichungen haben wird. Nur wenige Autoren schaffen es so emotional und kraftvoll zu schreiben wie sie.
Die Geschichte beginnt dramatisch. Paula erfährt, dass ihr Vater einen Suizidversuch unternommen hat! Als er jedoch vorerst keinen Kontakt wünscht, reflektiert Paula nach und nach die letzten Jahre. Ihr Vater war immer schon ein Eigenbrödler, einer der sich laut ihrer verstorbenen Mutter oft “in sein Mauseloch” zurück zog und von dem sie kaum etwas weiß.
In Rückblicken spiegeln sich Ereignisse aus ihrer Kindheit wider und es wird klar, dass Paula und ihr Vater kein sehr inniges Verhältnis hatten. Man begreift sehr schnell, dass es in dieser Familie im Allgemeinen an Emotionen fehlt. Der herrschsüchtige Großvater ist sozusagen das negative Flaggschiff, der den Rest der Familie bloßstellt, kommandiert und emotional kurz hält!
Paulas Tante Lili ist die Einzige, die dem Bild der Emotionslosigkeit nicht entspricht. Sie betont jedoch auch, dass es sie gerettet hat in Irland zu leben.
Als Paula auf ein tragisches Familiengeheimnis stößt, löst sie bei ihren Familienmitgliedern Gefühle aus, die viel zu lange unter Verschluss waren.
Renate Ahrens zeigt auf erschütternde Weise, wie ungesagtes eine Familie zerstören kann. Ihr feinfühliger Schreibstil und ihr Können mit wenig Worten große Emotionen zu erzeugen sind brillant und haben mich erneut begeistert.
Mich hat besonders beeindruckt wie sie es schaffte der kleinen Paula ein Gesicht zu geben. Eines welches mit kindlicher Zuversicht und schwerem Herzen auf Reaktionen ihres Vaters wartet – und doch immer wieder enttäuscht wird.
© Ricarda Ohligschläger
Renate Ahrens hat bereits im letzten Jahr mit ihrem Roman “Fremde Schwestern” bei mir vielerlei Emotionen geweckt. Dass sie das noch ein Stück weit mehr kann, hat sie nun mit “Ferne Tochter” bewiesen.
Es ist die Geschichte zweier Mutter-Tochter-Beziehungen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, aber doch sehr eng miteinander verknüpft sind.
Auf der einen Seite steht Judith, die ihre Mutter nach 20 Jahren wiedersieht. Rita liegt nach einem schweren Schlaganfall im Pflegeheim, kann weder reden und ist auf der rechten Seite zusätzlich gelähmt. Das Verhältnis zu ihrer Tochter Judith ist zerrüttet. Warum das so ist kann ich an dieser Stelle nicht näher beschreiben, denn es würde zu viel von der Handlung wegnehmen. Auf das zweite Mutter-Tochter-Verhältnis möchte ich nicht näher eingehen, weil es ebenso zu viel verraten würde.
Ein bisschen erahnt man bereits, wenn man sich den Klappentext einmal genauer durchliest.
Daher werde ich eher auf Renate Ahrens Schreibstil eingehen. Dieser ist so faszinierend klar und flüssig zu lesen, dass es schwer fällt das Buch auch nur eine Sekunde aus der Hand zu legen. In kleinen Rückblenden erzählt sie über Judiths Vergangenheit und offenbart damit eine Familientragödie, die sich bis heute in Judiths Leben eingenistet hat, denn sie ist verdammt dazu ein Geheimnis zu hüten, welches ihre Ehe zerstören könnte. Aus Scham und Angst schweigt sie und wird doch von tiefer Sehnsucht heimgesucht.
Als ihre Mutter ins Pflegeheim kommt muss sie sich ihrer Vergangenheit stellen. Dazu muss sie Italien verlassen, die Heimat in der sie als junge Frau Halt und die Liebe ihres Lebens fand.
Dass die Autorin ein Jahr in Italien gelebt hat spürt man sehr. Italienisches Flair sprudelt regelrecht aus ihren Zeilen heraus und man hat das Gefühl beim Lesen von Oliven, Mozzarella und gutem italienischen Wein umgeben zu sein. Viele Plätze und Straßen fließen ebenso in die Handlung ein, was das Gesamtbild von Judith abrundet, denn ich finde es immer sehr wichtig, dass nicht nur der Charakter der Hauptfigur sondern auch ihr Umfeld alles in allem stimmig ist.
Emotional hat mich der Roman sehr mitgerissen. Man spürt vielerlei ungesagte Worte, Enttäuschung aber auch Schuld.
Renate Ahrens schreibt über Geheimnisse, Vertrauensbrüche, Hilflosigkeit und Familienbindungen so ergreifend und fesselnd, dass man den Protagonisten eine Schulter zum Anlehnen bieten möchte.
Auf den ersten Blick erscheint “Ferne Tochter” wie eine tragische Familiengeschichte. Sie zeigt aber gleichermaßen auf, dass man Dinge nach Jahren noch ändern kann. Diese Botschaft vermittelt die Autorin mit einer Intensität und einer Kraft in ihren Worten, dass mich “Ferne Tochter” noch lange beschäftigen wird.
© Ricarda Ohligschläger