Als (fast) „Berliner Göre“ war es für mich ein ganz besonderes Lesehighlight…
Nachdem ich vor einiger Zeit Karla Schmidt „Das Kind auf der Treppe“ verschlungen habe, stand für mich außer Frage ihr neuestes Werk, welches sie unter dem Pseudonym Charlotte Freise geschrieben hat, auch zu lesen.
Im Mittelpunkt der Handlung steht der Fotograf Ruven, der die letzten Jahre mehr oder weniger sinnlos auf dem Rummel in Berlin verbracht hat. Frauen in aufreißenden Posen und unschuldiger Lüsternheit zu fotografieren das ist das Geschäft, wovon sein hinterhältiger Meister Bing und er mehr schlecht als recht leben.
Als eines Tages trifft Ruven dort auf Doktor Karl Greipel, der ihm eine Festanstellung an der Berliner Klinik für geistige und seelische Störungen anbietet. Ruven soll die Geisteskranken fotografieren. Greipel erhofft sich dadurch einen Einblick in deren Seelenleben.
Unter seinen Patienten befindet sich auch die junge Isabell. Ruven fühlt sich sofort zu ihr hingezogen und ist immer mehr fasziniert von der hochbegabten Schönheit. Wegen eines Nervenleidens in den Rollstuhl gezwängt und vom Doktor u.a. als hysterisch eingestuft fesselt sie Ruven zusehends mit ihrem Wissen rund um die Fotografie.
Ihre Idee der fotografischen Trockenplatte und des fotografischen Negativ Verfahrens nimmt immer mehr Formen an, doch äußere Umstände und Doktor Greipel machen ihrer Forschung einen Strich durch die Rechnung.
„Die Seelenfotografin“ ist die Geschichte einer außergewöhnlichen Liebe, aber auch eine verworrene Familientragödie und diese hat Charlotte Freise gekonnt und sehr geschickt miteinander verbunden. Ganz nebenbei fließt hierbei die Entwicklung der Fotografie mit ein, ohne belehrend zu wirken.
Besonders gelungen ist ihr dabei die Figur der Isabell. Widerspenstig, zerbrechlich und doch vor innerer Kraft strotzend – so facettenreich beschrieben lässt diese Hauptfigur keinerlei Wünsche offen.
Nicht nur, dass die Autorin ein außergewöhnliches Talent hat indirekt Dinge auszudrücken, sondern auch ihre bildhafte Sprache machen diesen Roman zu einem kleinen Geheimtipp der hoffentlich bald noch mehr Leser/innen finden wird.
Als (fast) „Berliner Göre“ war es für mich ein ganz besonderes Lesehighlight, denn die Beschreibungen der Stadt Berlins sind ihr so plastisch gelungen, dass ich irgendwie das Gefühl hatte „nach Hause“ zu kommen. Ich hatte zeitweise das Gefühl irgendwo auf einem Hinterhof zu sitzen und in weiter Ferne ein Pferdefuhrwerk zu hören.
Abgerundet wird der Roman durch ein fulminantes Ende, welches sich ganz leise in den vorherigen Kapiteln schon erahnen lässt.
Fazit: Wer eine leise aber feine Sprache und bildhafte Beschreibungen mag, wird an diesem Roman seine helle Freude haben.
© Ricarda Ohligschläger