Die Idee für den Roman „Glencoe“ ist ein Erbstück meines Schwiegervaters…
Seit wann schreiben Sie und wer hat Ihnen bei den ersten Schreibversuchen geholfen?

Ich muss gestehen, ich gehöre zu dieser langweiligen Art von Autoren, die Geschichten aufschreiben, seit sie einen Stift halten konnten. Wer mir dabei geholfen hat, ist eine hochinteressante Frage. Viele Menschen! Ich hatte immer Glück, Lehrern, Dozenten, Professoren, Kollegen und nicht zuletzt Lektoren und meinem Agenten zu begegnen, die mir weiterhalfen und mir Mut machten. Am meisten hat mir aber, glaube ich, mein Vater geholfen, dem ich im Alter von zehn Jahren eine sehr umfangreiche Geschichte – von mir tollkühn als Roman bezeichnete – zum Lesen gab. Ich war der Meinung, mit diesem Werk sei mein Einstieg in die Literaturwelt besiegelt, und wartete nun aufgeregt auf den Kommentar meines Vaters. Der musste doch hin und weg davon sein, ein literarisches Genie in die Welt gesetzt zu haben? Einige Tage später ärgerte ich mich in seiner Gegenwart über irgendetwas und benutze ein bekanntes Schimpfwort mit Sch … Mein Vater verdrehte die Augen und sagte: „Ich bitte Dich – musst du so schlampig sprechen, wie Du schreibst?“
Ich denke, er hatte mich damit nicht nur auf den Teppich, auf dem Schreiben harte, langwierige Arbeit ist, zurückgeholt, sondern mich auch schon einmal für die Härten der Verlagsbranche abgehärtet.
Ich glaube, erst wesentlich später ist mir klar geworden, dass er mir damit auch gesagt hat: Ich nehme das, was du da machen willst ernst. Und breche daher nicht wie über jedes selbstgekritzelte Bild und jeden verbrannten Weihnachtskeks in Begeisterung aus.
Gibt es einen Lieblingsort bzw. an welchem Ort auf der Welt fühlen Sie sich am Wohlsten? An welchem Ort schreiben Sie am liebsten?
Mein Lieblingsort auf der Welt ist Portsmouth am Solent. Den Namen kann ich nicht auf meinen Bildschirm tippen, ohne dort sein zu wollen. Jetzt. Sofort.
Ich schreibe am liebsten in meinem Büro, an meinem Schreibtisch, vor meinem Fenster in meinen Garten. Das Büro dürfte natürlich auch in Portsmouth liegen und den Solent überblicken. Da es aber in London liegt und das mein zweitliebster Ort auf der Welt liegt, habe ich keinen Grund zur Klage, sondern bin ein glücklicher Schreiberling.
Wie sind Sie auf die Idee zum Buch „Glencoe“ gekommen? Haben Sie die Highland-Saga von Diana Gabaldon gelesen und haben Sie sich dort Anregungen für „Glencoe“ geholt?
Auf die Gefahr, mich sehr unbeliebt zu machen: Diana Gabaldons Bücher gehören zu denen, die ich auch mit viel gutem Willen nicht lesen kann. Hab’s versucht und es sehr schnell aufgegeben – es ist einfach nicht meins. Schön, dass es viele verschiedene Bücher für viele verschiedene Menschen gibt!
Die Idee für den Roman „Glencoe“ ist ein Erbstück meines Schwiegervaters, der aus Glencoe stammte und jahrzehntelang Material zum „Massacre of Glencoe“ sammelte. Kurz vor seinem Tod hat er es mir sozusagen vermacht. Wir haben viel darüber geredet, dass mich als Deutsche das Thema Genozid nicht loslässt, dass ich mich aber außerstande sehe, über dieses Thema in der Geschichte meines eigenen Landes zu schreiben. Mein Schwiegervater fand, „Glencoe“ und ich würden zusammen passen, also gab er mir die Kiste mit seiner Sammlung und den Rat: „Schreib’s auf.“
Wie sind Sie auf die Idee gekommen einen Roman über das schottische Hochland im 17. Jahrhundert zu schreiben?
Wie gesagt, die Familie meines Schwiegervaters lebt in Glencoe, mein Mann und ich haben viel Zeit dort verbracht (das tun wir natürlich noch immer) und auch eine Weile dort gelebt. Den Wunsch, die Geschichte des „Massacre of Glencoe“ aufzuschreiben, hatte ich seit vielen Jahren, scheute aber davor zurück, weil mir das Thema Jakobitenaufstände durch Diana Gabaldon so besetzt erschien und ich fürchtete, ein ganz anderes Buch zu diesem Thema werde bei Verlagen und Lesern nicht auf Interesse stoßen. Irgendwann war die Geschichte in mir dann einfach reif. Und von dem tollen Verlag, in dem „Glencoe“ erschienen ist, kam sofort ein ermutigendes: „Das machen wir!“
Ist oder wird der Roman „Glencoe“ auch in England erscheinen? Und wenn, übersetzen Sie selbst oder gibt es da spezielle Romanübersetzer?
Nein, leider nicht. Auf den englischsprachigen Markt gelangen nur ganz ganz wenige Romane deutscher Autoren – die Briten haben einfach zu viele eigene tolle Erzähler. Für eine solche Übersetzung würde es natürlich eigens ausgebildete Literaturübersetzer geben – und die Zielsprache (also Englisch) sollte immer die Muttersprache des Übersetzers sein. Da mein Mann aber sowohl englischer Muttersprachler als auch ausgebildeter Übersetzer ist und ich als Übersetzer mein Geld verdiene, würden wir uns – für den Fall, dass ein Wunder geschieht – zumindest um die Übersetzung bewerben wollen! 
Ich würde gerne wissen, ob Sie selbst gerne historische Romane lesen bzw. wie sie auf das Genre aufmerksam geworden sind und ob sie sich vorstellen können auch andere Genre zu schreiben.
Ich habe mich als Studentin in die historischen Romane Lion Feuchtwangers und damit in das ganze Genre verliebt. Das, was Feuchtwanger zu den Möglichkeiten des historischen Romans schreibt, fand ich von Anfang an ungeheuer reizvoll. Und ich habe etliche historische Romane mit großer Begeisterung gelesen. Dass ich dann einen schreiben wollte, ist aber eher Zufall und meinem – leicht fanatischen – Interesse an Geschichte (bis zur Renaissance) zu verdanken. Irgendwann stieß ich auf diese Geschichte, die ich unbedingt erzählen wollte und die eben im 16. Jahrhundert spielte. Davor habe ich durchaus auch viel anderes versucht.
Ich liebe den historischen Roman immer noch und finde unter den Neuerscheinungen auch immer noch Romane, die mich begeistern – auch wenn die Zahl abnimmt. Ich entdecke auch immer noch unzählige Geschichten aus der Geschichte, die ich gern erzählen möchte. Das heißt aber keineswegs, dass ich nicht in anderen Genres auch gern Versuche unternehmen würde. Wenn sich die Gelegenheit ergibt und mir eine Geschichte begegnet – jederzeit.
Was ist bei Ihren Büchern zuerst da, die Idee eine historische Figur oder Begebenheit zu verarbeiten. Oder erst die Schrift über historische Figuren und Begebenheiten.
Tolle Frage!
Ich bin einer, der keine Geschichten erfinden kann. Sie muss mir begegnen. Und dann ist sie eben auch schon ganz schön komplett, enthält also Figuren und Begebenheiten. Das, was mich anfangs mehr fesselt, aufmerksam macht, an den „Haken“ bringt, ist das historische Ereignis, ohne Frage. Aber das Ereignis, das sind ja die Menschen, die es geprägt, verursacht, durchlebt und aufgezeichnet haben – also die Figuren. 
Mich würde interessieren, wer zuerst das fertige Manuskript lesen darf?
Die Testleser! Meine Testleser – eine Gruppe von Kollegen und erfahrenen Lesern – sind meine unentbehrliche Rettungstruppe. Bevor die Testleser nicht drüber hergefallen sind, traue ich mich nie im Leben, einen Text meinem Agenten oder Lektor zu schicken. Sich dafür bedanken, kann man nicht oft genug. Testlesen ist harte Arbeit, die nicht bezahlt wird, die im Buchentstehungsprozess aber einen gewaltigen Gewinn darstellt.
Fällt es Ihnen als Schriftstellerin schwer, sich bei einer Übersetzung an den doch recht eng vorgegebenen Rahmen der Textvorlage zu halten, sprich hilft oder bremst die eigene schriftstellerische Erfahrung?
Ich bin mit Leib und Seele Übersetzer! Einen (schönen) fremden Text nehmen zu dürfen und ihm so behutsam, wie es einem möglich ist, ein Gewand geben, in dem Sprecher einer anderen Sprache ihn erkennen, war und ist mein Traumberuf. Ich denke, man kann einen Text nur fair übersetzen (und lektorieren!), wenn einem völlig klar ist: Das ist NICHT meiner. Den darf ich zwar in den Händen halten, was ein Privileg ist, aber ich darf ihn nicht biegen und formen. Ich denke, dass ich selbst Texte erstelle, hilft mir, weil es den Wortschatz und die Spracherfahrung ständig weitet und trainiert. Aber es bringt mich nicht in Versuchung, am fremden Text sozusagen meine Duftmarke zu hinterlassen. Es ist nicht meiner – und das ist schön. Er braucht nicht meiner zu sein.
Was hat Sie bewogen nach England zu gehen? Ist Ihr Mann Engländer?
Mein Mann droht mir immer, die Scheidung einzureichen, wenn ich ihn als Engländer bezeichne – aber ja, ich denke, er ist einer, er ist in London geboren und so englisch wie schwarze Schirme und rote Telefonzellen. Finde ich. Er nicht.
Sein Vater war ein Hochlandschotte und seine Mutter eine Andalusierin. Zu deutsch – mein Mann ist eine echt europäische Mixtur und ein wandelnder Klimaschock.
Ich habe ihn mir aber als Engländer angeschafft – ich lebte in Pompeji, träumte von London und fand: Ich muss jetzt hier unbedingt mal einen Engländer kennenlernen, damit ich nach London ziehen kann.
In London wohne ich jetzt seit dreizehn Jahren und kann mich zu der gelungenen Durchführung meines Planes nur immer wieder beglückwünschen.
Sie haben u. a. auch ein Buch über Shakespeare geschrieben. Was hat sie dazu bewogen? Sind Sie ein Shakespeare – Fan?
Oh ja! Ich habe mich im Studium auf Renaissance-Englisch, dem meine große Liebe gilt, spezialisiert und über ein Stück von Shakespeare abgeschlossen. Dass mir der Thiele-Verlag die Gelegenheit gab, dieses Buch zu schreiben (mit einem wundervoll engagierten Verleger, der das gesamte Bildmaterial persönlich ausgewählt und das Buch zudem betreut und lektoriert hat), war eine große Freude und die Arbeit an diesem Buch ein seltener Glücksfall.
Was mögen Sie an den Leserunden mit Ihren Lesern am meisten und was gar nicht?
Leserunden sind für mich als „Ausländer“ der einzige direkte Kontakt mit Lesern und daher sowohl sehr aufregend als auch unendlich wertvoll. Auf www.buechereule.de habe ich in einer Leserunde zu meinem Debütroman zum allerersten Mal erleben dürfen, wie das, was ich hier im Kämmerlein vor mich hingeschreibselt habe, bei ECHTEN Menschen ankommt. Das war ein großartiges Gefühl, es hat mich richtig berauscht. Die klugen Kommentare sehr erfahrener Leser haben mir gerade nach dem ersten Buch enorm geholfen, es kam Kritik, die genau ins Schwarze traf und mit der ich bei den folgenden Büchern toll arbeiten konnte. Und natürlich ist es einfach himmlisch, wenn jemand abschließend sagt: Ich mochte dieses Buch. Es hat mir Freude gemacht, es zu lesen.
Das ist ein Geschenk.
Schlimm ist es für mich, wenn gar nichts kommt. Wenn die Ordner der Leserunde leerbleiben, die zahlreich angemeldeten Teilnehmer einer nach dem anderen verschwinden oder freundliche Ausreden – Hamster hat Bauchweh, Oma spielt Fußball, Wetter ist doof – stammeln. Das ist für mich so schlimm, dass es mich tagelang blockiert und noch auf Wochen nachwirkt. Für mich heißt das: Dieses Buch ist so indiskutabel, dass wir es nicht einmal fertigbringen, Dir das zu sagen. Ich muss im Übrigen gestehen, dass ich es selbst auch so mache: Wenn mir das Buch eines Kollegen gar nicht gefällt, wenn mir einfach nichts Positives dazu einfällt, dann spielt meine Oma Fußball, mein Hamster hat Bauchweh und ich stehe da und sage – nichts.
Wie bereiten Sie sich auf Lesungen vor? Und was mögen Sie hierbei am meisten?
Leider habe ich erst ein einziges Mal zu einer Lesung gehabt, da ich im Ausland wohne und damit für Veranstalter zu teuer (und nicht berühmt genug) bin. Meine einzige Lesung fand – zusammen mit Titus Mueller, dessen Bücher ich liebe, und seiner Partnerin, der Flötistin Lena Schussmann – letztes Jahr beim „Lindauer Literaturschmaus“ statt. Es war ein unvergessliches Erlebnis – ganz tolle Veranstalter, ganz tolles Publikum und eine unbeschreibliche Atmosphäre. Meine Vorbereitung war für die Katz, weil ich vor lauter Aufregung alles vergessen habe, aber alle waren so nett zu mir und nahmen mein Gehampel mit so viel Humor, dass der Abend trotzdem ein Erfolg wurde. Ich kann diese Veranstaltung, die es auch in diesem Jahr wieder gibt, nur jedem empfehlen – und ich glaube, in diesem Jahr liest Iris Kammerer dort, die ich erst recht jedem empfehlen möchte.
Planen Sie bereits neue literarische Projekte und mögen Sie uns darüber schon etwas berichten?
Darf ich nicht! (Bin eine Quatschtante, der man bei einem schönen Rioja so gut wie alles aus der Nase ziehen kann – sitze hier aber im Moment nüchtern …)
Nur so viel: Mein nächster historischer Roman erscheint im Herbst 2012, spielt im von mir geliebten Spätmittelalter und diesmal wieder auf der südlichen Hälfte meiner Lieblingsinsel. Zu großen Teilen auf einer Insel, die dieser vorgelagert ist – aber ich hab nichts gesagt!
Worauf sind Sie stolz, Frau Lyne?
Auf meine Kinder. Klaus, Lynn und Raul.
Liebe Charlotte, vielen Dank für dieses Interview. Es hat sehr viel Spaß gemacht und ich wünsche Ihnen für Ihr neues Buchprojekt alles Gute!!

Die Interviewfragen stammen u. a. aus Einsendungen, im Rahmen der Aktion „Leser fragen – Autoren antworten“
Da es so zahlreiche Einsendungen gab, hat die Autorin entschieden noch ein signiertes Buch zu spendieren. 🙂
Das signierte Buch geht an
Catherine O.
Ein weiteres erhält in den nächsten Tagen
Iris W.-W.
Herzlichen Glückwunsch!
© Autorenfoto: www.luebbe.de

3 thoughts on “Interview mit Charlotte Lyne

  1. Pingback: Tweets that mention Interview mit Charlotte Lyne « Literaturnotiz – Blog -- Topsy.com
  2. Mein Buch ist gerade eingetroffen.
    Vielen lieben Dank! Ich freue mich sehr es endlich in der Hand zu halten und noch mehr, dass ich nun anfangen kann es zu lesen. 🙂
    Herzliche Grüße
    Catherine

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