„Das zerbrochene Fenster“ ist mein Erstling von Zoë Beck. Dabei habe ich alle ihre Bücher. Fragt mich also bitte niemand warum ich bisher keines davon gelesen habe. Ich kann die Frage nicht beantworten.
Erst recht jetzt nicht, nachdem ich diesen aktuellsten ihrer Thriller abgeschlossen habe, in dem es darum geht, dass auf einem Landsitz im verschneiten Schottland die Leiche einer jungen Witwe gefunden wird. Das Spektakuläre daran ist, dass bereits ihr Mann ermordet wurde.
Der Fall scheint schnell aufgeklärt als sich Philippa Murray bei der Polizei meldet und aussagt, dass ihr Freund Sean Butler der Mörder der Witwe ist. Doch die Polizei stößt bei ihren Ermittlungen schnell an ihre Grenzen, denn Sean ist vor sieben Jahren spurlos verschwunden. Als die Ermittler mehr über Philippa Murray erfahren möchte und sie zu Hause aufsuchen, ist diese bereits ebenso wie vom Erdboden verschwunden.
Der Thriller beginnt mit Tagebucheinträgen von Pippa, die sich durch die gesamte Handlung tragen. Sie schildern Seans Verschwinden, Pippas Gefühle, ihre Trauer und ihre unermüdliche Hoffnung auf einen positiven Ausgang. Das Erschreckende an Pippas Tagebucheinträgen ist, dass sie nicht loslassen kann und noch Jahre später ihrer großen Liebe nachtrauert. Zum Einen verständlich, doch zum anderen Zeichen dafür, dass sie auf eine fatale Weise in der Vergangenheit lebt. Sie hatte schließlich bis dato allerhand negatives von Sean erfahren, doch auch diese Tatsachen konnten ihre Liebe und ihre Sehnsucht kein bisschen dämmen. Sie betont immer wieder, dass sie Sean geliebt hat und versucht hat ihm eine gute Partnerin zu sein.
Nun war ich Gott sei Dank noch nie in solch einer Situation und kann mir nicht vorstellen, wie es ist so viele ungeklärte Fragen zu haben, aber als erwachsene und vor allen Dingen gestandene Frau hätte ich von Pippa etwas mehr erwartet als ewig in der Hoffnung zu leben, dass Sean noch einmal auftaucht. Ihre Suche nach ihm hatte schon zwanghafte Züge.
Die Autorin hat diesen Aspekt sehr eindringlich geschildert und Pippa in dieser Hinsicht als eine Frau dargestellt, die trotz ihres beruflichen Erfolges sehr einsam erscheint. Warum das so ist wird schnell klar, wenn man Pippas Familie näher kennenlernt und dann bleibt einem kein anderer Schluss übrig als das hier Zusammenhalt und gegenseitiges Interesse nur sehr spärlich vorhanden ist. So ist es wiederum kein Wunder, das sich Pippa so verhält. Der Kreis schließt sich an dieser Stelle und für mich war klar, warum sich Pippa so an Sean klammerte und sich nahezu auf ihn fixierte.
Die Familienverhältnisse bringen ein bisschen Licht in Pippas Verhalten. Der Vater ein dickschädeliger Egozentriker, dem keiner etwas recht machen kann, die Mutter eine gefühllose Person und die Schwester eine kaufsüchtige tablettenabhängige Hysterikerin, die ebenso ihre Anerkennung beim Vater sucht. Einzig Matt erschien mir ein Stück Normalität in Pippas Leben zu bringen.
In einem Buch sind solche angespannten Familienverhältnisse immer sehr interessant zu lesen, sie lassen einen zum Teil verzweifeln, fluchen oder eben nur mit dem Kopf schütteln. In der Realität wäre es eine Katastrophe! Mich haben diese Verhältnisse wütend gemacht und erschüttert. So realistisch hat Zoe Beck diese „Familientragödie“ beschrieben.
Die Tagebucheinträge von Pippa wechseln sich kapitelweise mit den aktuellen Ereignissen nach dem Tod der Witwe Lillian Kjellberg ab. Schnell wird klar, dass diese im ersten Augenblick verwirrenden Zeitsprünge zusammen gehören und immer mehr lösen sich Fragen die beim Lesen entstehen auf. Jeder scheint mit jedem eine Verbindung zu haben. Plötzlich wird klar, dass jeder für das Verschwinden von Sean verdächtigt werden könnte – bis sich zumindest dieser Kreis schließt. Wer letzten Endes Lillian Kjellberg auf dem Gewissen hat, ist eine große Überraschung.
Eigentlich hatte ich gehofft, dass es noch einen großen rasanten Showdown gibt, aber der blieb aus. Zoë Beck ist eben eine Autorin für die leisen eindringlichen Töne und so hat mir schlussendlich nichts an diesem Thriller gefehlt.
Einen „Wow“ – Effekt hat „Das zerbrochene Fenster“ dafür trotzdem bei mir hinterlassen.
Mindestens einen für die Charaktere, die diesem Buch erst die Emotionen gaben. Keiner der Figuren hatte die sprichwörtliche „weiße Weste“. Ob aufgrund seiner Vergangenheit oder wegen massiver psychischer Erkrankungen. Die eindrucksvollste Figur war Cedric. Depressiv, von Angstzuständen geplagt und trotzdem schlussendlich gewillt das Rätsel um den Tod seiner Stiefmutter zu lösen. Die anderen Besonderheiten sollte jeder für sich herausfinden.
Zoë Beck hat mit „Das zerbrochene Fenster“ einen eindringlichen Thriller geschrieben, der von seinem Schreibstil und von der Vielzahl seiner Ereignisse nicht dichter hätte sein können. Vieles kommt erst Stück für Stück an den Tag, damit erreicht sie einen Spannungsbogen, dem es an nichts fehlt und der seinesgleichen sucht.
Wer zudem den Schauplatz Schottland neu entdecken möchte, der ist mit diesem Thriller sehr gut beraten!
© Ricarda Ohligschläger
Weitere Thriller der Autorin:
Das alte Kind
Der frühe Tod
Wenn es dämmert